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Schengen und die Kosten

This op-ed was published in Wirtschaftswoche. It will be published on this blog in English and in other newspapers.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, warnte kürzlich mit starken Worten: „Ohne Schengen, ohne die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, ohne die Reisefreiheit, von der alle Europäer profitieren können, macht der Euro keinen Sinn.“ Und in der Tat, was verbinden die meisten Europäer und Deutschen mit der EU? Die gemeinsame Währung und die Reisen ohne Ausweisdokumente. Wie steht es also wirklich mit dem Schengenraum und dem Euro?

Zunächst: Im Schengenraum gibt es ca. 1,7 Millionen Menschen, die ihren Lebensunterhalt in einem anderen Land verdienen, als dem in dem sie wohnen. Diese Menschen wären direkt von einer Wiedereinführung der Grenzkontrollen betroffen. Die Wartezeiten an den Grenzen würden ihr Pendeln erschweren und stellen volkswirtschaftliche Kosten dar. Man kommt da je nach Annahmen auf vielleicht 3-4 Milliarden Euro jährliche Kosten. Volkswirtschaftlich ist das noch nicht dramatisch hoch für den Schengenraum als Ganzen. Einzelne Länder wie die Slowakei und Luxemburg wären aber stärker betroffen. Darüber hinaus kommen noch die Kosten für all die vielen beruflichen und auch privaten Trips in Europa. Eurostat geht von ca. 200 Millionen Reisen in ein anderes EU Land pro Jahr aus. Das könnte die Kosten noch einmal verdoppeln.

Relevanter sind wahrscheinlich die Kosten, die im Güterverkehr entstehen. Unzählige Lastwagen und Güterzüge sind in Europa unterwegs. Mehr als 18 Millionen Lastwagen kommen z.B. jedes Jahr in Deutschland auf mautpflichtigen Straßen an. Die Einführung von Grenzkontrollen in Deutschland würde den Warenaustausch und die Produktionsprozesse erheblich beeinflussen. Genaue Schätzungen der Kosten sind aber schwer. Sie hängen auch davon ab, wie lange die Wartezeiten an den Grenzen wären.

Es wäre aber falsch, zu denken, dass der Euro damit nicht funktionieren würde. Irland und Zypern sind außerhalb des Schengenraums. Die beiden Länder hatten zwar wirtschaftliche Probleme, diese hingen aber nicht mit der Kontrolle der Außengrenzen zusammen. Richtig ist aber auch, dass die Euroraumwirtschaft jetzt endlich langsam wieder in Schwung kommt. Es entstehen wieder neue Jobs und die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Einführung von strikten Grenzkontrollen, kombiniert mit einem weiteren Schock – vielleicht aus China – könnte dem Aufschwung ein Ende setzten.

Jean-Claude Juncker, Angela Merkel und Wolfgang Schäuble haben deswegen Recht. Europa braucht eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise. Es geht dabei zunächst um eine bessere Erfassung der Flüchtlinge an den Außengrenzen und die europäischen Datenbanken müssen vernetzt werden. Außerdem ist eine Umsetzung der Beschlüsse zu der Verteilung der Flüchtlinge in der EU notwendig. Mittelfristig wird der Schengenraum eine Art harmonisiertes Asylrecht benötigen, in dem auch die Leistungen an Flüchtlinge angeglichen werden und vielleicht auch gemeinsam finanziert werden. Ohne eine europäische Lösung wird der politische Druck steigen und Schengen gerät in Gefahr. Das ist nicht das Ende des Euros – aber teuer wird es. Noch schwerer mag die politische Dynamik wiegen, die entstehen würde. Würden es der erste Schritt zu weiteren Renationalisierungen in anderen Politikbereichen bedeuten?