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Griechenland: Die Lehren für Europa

This piece was first published on Die Zeit on August 4 2015. It was also published on Linkiesta, and several other newspapers. The English version is published on Bruegel.

 

Die schlimmste Hängepartie ist vorläufig beendet: Griechenland und seine Geldgeber haben sich grundsätzlich darauf geeinigt, ein drittes Hilfsprogramm anzugehen. Doch die Debatte darüber, welche Lehren aus den gescheiterten bisherigen Programmen zu ziehen seien, geht weiter.

 

Der Chefökonom des Weltwährungsfonds, Olivier Blanchard, hat dazu kürzlich ein wichtiges Papier veröffentlicht. Er verteidigt die zentralen Entscheidungen des IWF – und in vielen Punkten kann man ihm zustimmen. So war es sicher unvermeidlich, den Staatshaushalt in den vergangenen fünf Jahren massiv zu konsolidieren. Als das damalige Hilfsprogramm 2010 begann, lag das Haushaltsdefizit bei 15 Prozent der griechischen Wirtschaftskraft. Das war nicht tragbar.

 

Olivier Blanchard hat die europäische Austeritätspolitik scharf kritisiert. Aber selbst er gesteht im Falle Griechenlands zu: Hätte man weniger streng gespart, wäre der Finanzbedarf des Landes unrealistisch hoch gewesen. Schon jetzt übersteigt die im Rahmen der Hilfspakete verliehene Summen 40 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts – nur um die laufenden Defizite zu finanzieren.

 

In zwei wichtigen Punkten ist seine Analyse allerdings nicht zufriedenstellend. Die wichtigste Frage für Griechenland ist: Die Wirtschaft muss wachsen, aber woher soll das Wachstum kommen? Die Politik braucht eine Strategie dafür. Aber das Hilfsprogramm hat dies nicht wirklich zur Priorität gemacht.

 

Ein Ponzi-Schneeballsystem

 

Statt dessen erinnerte die Wirtschaftspolitik Griechenlands seit Beginn des Euro an das Schneeballsystem des Geschäftsmanns Charles Ponzi. Mit jedem Jahr lieh man sich mehr Geld, nicht nur um alte Gläubiger zu bedienen, sondern auch um neuen Konsum zu finanzieren. So wuchsen die griechischen Staatsausgaben rasant.

 

Von 1999 bis 2009 verdoppelten sich die Gehälter im öffentlichen Dienst – zum Vergleich: In den Ländern der Eurozone stiegen sie im gleichen Zeitraum nur um 40 Prozent. Der dadurch entstanden Gehaltsdruck führte zu einem übermäßigen Anstieg der Gehälter im privaten Sektor, und griechische Unternehmen verloren immer mehr an Wettbewerbsfähigkeit. Alles zusammen führte zu einem riesigen Leistungsbilanzdefizit und massiv ansteigenden Auslandsschulden.

 

Es war also von zentraler Bedeutung für den Erfolg der griechischen Hilfsprogramme, das massive Wettbewerbsfähigkeitsproblem in den Griff zu bekommen. Die Troika und vor allem der IWF gingen das Problem aber nur sehr halbherzig an. Zum Beispiel diskutierten sie in den offiziellen Dokumenten ausführlich über notwendige Gehaltskürzungen. Aber anfangs waren sie nicht bereit, das als harte Bedingung für die Hilfskredite zu formulieren. Sie fanden nicht den Mut dazu.

 

Es war auch bekannt, dass niedrigere Gehälter alleine nicht ausreichen würden. Zugleich brauchte man eine tiefgehende Reform der Produktmärkte, eine Liberalisierung von verkrusteten Strukturen. Ohne sie würde es kaum möglich sein, neue Wachstumssektoren zu erschließen.

 

Das Resultat der verfehlten Nachsicht: Die Arbeitslosigkeit in Griechenland stieg massiv. Dass die heimische Nachfrage zusammenbrach, war zum größten Teil unvermeidlich. Aber in Griechenland wurde das – anders als beispielsweise in Portugal – überhaupt nicht durch steigende Exporte ausgeglichen.

 

Hier muss das neue Hilfsprogramm ansetzen. Griechenland benötigt dringend eine Wachstumsstrategie, die es dem Land ermöglicht, mehr zu exportieren. Arbeitsmarktreformen sind hierfür nicht notwendig – der OECD zufolge ist der griechische Arbeitsmarkt schon jetzt flexibler als der deutsche.

 

Benötigt wird stattdessen eine Öffnung der Produktmärkte, zugleich mit Reformen der Wettbewerbspolitik und des ineffizienten Staatssektors. Außerdem wäre eine Anschubfinanzierung für neue Unternehmen mit europäischen Mitteln hilfreich.

 

Der zweite zentrale Punkt betrifft die Fähigkeit Griechenlands, seine Schulden zurückzuzahlen. Die Mitarbeiter des IWF und unabhängige Experten hatten von Anfang an Zweifel daran. Dennoch stimmte der IWF dem ersten Programm zu und änderte dafür sogar seine internen Regeln. Insbesondere wurden Finanzstabilitätsrisiken hervorgehoben, um diesen Schritt zu begründen.

 

Darüber, ob diese Risiken wirklich so groß waren, kann lange debattiert werden. Es ist aber unzweifelhaft richtig, dass die Sorgen um Ansteckung und die Stabilität des Finanzssystems damals sehr präsent und substanziell waren. Insofern sollte die Entscheidung des IWF nicht kritisiert werden. Was allerdings kritisiert werden muss, ist die Tatsache, dass die vom IWF hervorgehobenen Finanzstabilitätsrisiken das Hilfsprogramm leider nicht tragfähig werden ließen. Auch der Schuldenschnitt kam letztlich zu spät, um das Schuldenproblem zu lösen.

 

Investitionen brauchen Sicherheit: den Euro

 

Auch hier sollte das neue Programm ansetzen. Für mehr Wachstum benötigt Griechenland Vertrauen und neue Investitionen. Diese werden aber nur kommen, wenn es die Sicherheit gibt, dass Griechenland auch in fünf Jahren noch im Euro ist und die Schulden tragfähig sind.

 

Diese Sicherheit könnte die Politik schaffen – wenn man sich darauf einigte, den Schuldendienst künftig an das griechische Wirtschaftswachstum zu knüpfen. Auf den derzeitigen Tilgungsplan würde man nur bestehen, wenn Griechenland angemessen wüchse. Im anderen Fall müssten die Gläubiger eine weitere Verschiebung der Rückzahlung und niedrigere Zinsen akzeptieren.

 

Das würde Planungssicherheit in Griechenland schaffen und Anreize für Investitionen geben. Zugleich wäre diese Lösung auch im Interesse der Gläubiger: Es ist in jedem Fall klar, dass bei nur sehr schwachem Wachstum Griechenland seine Schulden nicht voll wird bedienen können. Akzeptiert man diesen ökonomischen Sachverhalt schon jetzt, dann wird dies die erwarteten Rückzahlungen sogar erhöhen.

 

Rückblickend wurden in Griechenland massive Fehler vom IWF, der Troika und insbesondere Griechenland begangen. Das Land muss nun zu tiefgreifenden Reformen bereit sein, die es der Privatwirtschaft erlauben, mehr zu exportieren und zu wachsen. Im Gegenzug müssen sich die Geldgeber dazu bereit erklären, die Schuldentragfähigkeit und realistische Primärüberschussziele zu garantieren, so dass überhaupt neue Investitionen in Griechenland getätigt werden. Reformen und Schuldentragfähigkeit werden so zu zwei Seiten derselben Medaille.