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Europa sinnvoll gestalten

This opinion piece was published in FAZ on Friday, 28 April, 2017.

 

Weder gute Wachstums- und Beschäftigungszahlen noch das schlechter als erwartete Abschneiden des Populisten Geert Wilders können darüber hinwegtäuschen, dass die EU sich in einer Sinnkrise befindet. Die Erklärung von Rom versucht europäische Einigkeit zu demonstrieren und das „White Paper“ der Europäischen Kommission skizziert Handlungsoptionen für die Weiterentwicklung der Union. Jedoch werden die zentralen wirtschaftspolitischen Fragen nicht angegangen.

Die Debatte um die Zukunft Europas sollte gerade in Deutschland konstruktiv geführt werden. Denn Deutschland profitiert von einer stabilen EU und trägt entscheindend zur Fortenwicklung Europas bei. Oft verliert sich die Diskussion aber in lange eingeübten Abwehrreflexen oder theoretischen Abhandlungen. Einer zentralen Diskussion wird man sich stellen müssen: wie kann die Stabilität des Euroram erhöht werden?

Denn trotz aller Reformen bleibt der Euroraum instabil. Der Euro wird immer anfälliger für politische Risiken sein als eine Währung in einem echten Bundesstaat wie beispielsweise der USA. Sollte z.B. Marine Le Pen die Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewinnen, dann wäre die Währungsunion unmittelbar in Gefahr. Auch eine reformierte Eurozone könnte ein solches Szenario nur schwer überstehen. Reformen sind trotzdem dringend notwendig. Und vieles bleibt zu tun.

Die Hoffnung in Deutschland, zurück zu den ursprünglichen Maastricht-Regeln zu kommen, ist aber bestenfalls naiv. Weder die no-bail-out Klausel noch die Haushaltsüberwachung sind derzeit glaubwürdig und sie waren es auch nicht vor der Krise. Die no-bail-out Klausel wurde ja auch mit Zustimmung Deutschlands ausser Kraft gesetzt, weil ihre Anwendung in Griechenland zu einer Finanzkrise geführt hätte. Umgekehrt funktioniert die Haushaltüberwachung nicht, weil kein Mitgliedsland ernsthaft bereit ist, sich von Brüssel seine Haushaltspolitik vorschreiben zu lassen. Auch Deutschland hat mehrmals gegen die Regeln gestoßen. Genauso naiv wäre es aber, von einer zentralisierten Föderation zu träumen. Die in Brüssel diskutierte Sozialunion verwirrt eher als dass sie positiv wirkt.

Der erste Schwerpunkt eines sinnvollen Reformansatzes sollte auf der  Stabilität des Finanzsystems liegen. Damit kann man eine unerwünschte Vergemeinschaftung der Kosten einer Staatsinsolvenz durch die Beteilung privater Gläubiger verhindern. Zweitens würde die dadurch gewonnene Glaubwürdigkeit es erlauben, endlich die ineffektiven Rituale des Stabilitätspaktes hinter sich zu lassen. Wer den Regeln nicht folgt, trägt selber die Verantwortung und muss im Extremfall mit einer Staatsinsolvenz leben. Die Regeln könnten dann also vorallem von nationalen Institutionen überwacht werden.

Grundsätzlich sollte es europäische Hilfsprogramme nur geben, wenn die Schulden tragfähig sind. Aber nach den Erfahrungen mit der griechischen Schuldenkrise sind Zweifel angebracht, ob die Eurozone in ihrer aktuellen Form die Kraft hätte, ein Programm von der Beteiligung privater Gläubiger abhängig zu machen. Diese Frage könnte noch akut werden, wenn die Zinsen steigen während das Wachstum in einigen Ländern schwach bleibt.

Echte Föderationen wie die USA haben die Verantwortung für das Finanzsystem komplett zentralisiert. Dadurch bleibt das Finanzsystem stabil, auch wenn es in einem Bundesland zu Turbulenzen kommt. Finanzstabilität in einer Währungsunion kann letztendlich nur auf Ebene der Union sinnvoll bereitgestellt werden.

Was sind also die nächsten Schritte für das Finanzszstem des Euroraums? Ein europäisches Einlagensicherungssystem ist für Stabilität genauso wichtig wie Bilanzobergrenzen für Staatsanleihen in Banken und konkrete Schritte, die Bilanzen zu reinigen. Institutionell wäre es denkbar, den bestehenden Abwicklungsfond mit einem neu zu schaffenden europäischen Einlagensicherungsystem zu verschmelzen. Der European Stability Mechanism (ESM) könnte als Sicherung hinter dieser Behörde stehen. Dies würde die Bankenunion vervollständigen und die notwendige Ergänzung zu der gemeinsamen Bankenaufsicht darstellen. Der ESM würde sich also zu einer Art EU-Währungsfond entwickeln, der mit Staatspleiten umgeht und gleichzeitig das Finanzsystem stabil hält.

Die Glaubwürdigkeit würde weiter gestärkt, wenn Kapitalmärkte vertieft und ebenfalls europäisiert würden. Dadurch könnte die Abhängigkeit von Banken reduziert werden und asymmetrische Schocks abgefedert werden.  Hierfür müsste das Projekt Kapitamarktunion ernsthaft angegangen werden; man müsste z.B. bei dem Thema Insolvenzrecht zu einer größeren Harmonisierung kommen.

Die Eurozone hat also ein Paradox zu lösen: will sie größere Eigenverantwortung für nationale Haushaltspolitik, dann muss sie gleichzeitig größere Zentralisierung bei Banken- und Finanzfragen akzeptieren. Eigenverantwortung für Staaten, und damit eine glaubwürdige no-bail-out Klausel, kann nur bei einem stabilen Finanzsystem funktionieren.

Eine stärkere Kapazität für Investionen und öffentliche Güter würde ebenfalls zu Stabilität in der Eurozone beitragen. Die Eurozone leidet nämlich derzeit unter dem Problem, dass sie sich bei niedriger Inflation lediglich auf die EZB verlassen kann, um das Inflationsziel zu erreichen. Die EU hat nicht genug Mittel, die Zentralbank sinnvoll zu unterstützen.

Es ist Zeit, in Deutschland eine ehrliche Debatte über Europa zu führen. Dabei müssen auch die schwierigen Themen angegangen werden. Deutschland muss Verantwortung für eine stabilere Euroraumarchitektur übernehmen, auch wenn das kurzfristige Kosten bedeuten kann, wie z.B. dem Beitrag zur dem Einlagensicherungssystem.

Es geht Deutschland auch dank des Euros so gut wie schon lange nicht mehr. Der langfristige Nutzen überwiegt bei weitem die kurzfristigen Kosten. Sei es beim Thema Griechenland oder der Frage der immer noch schwachen Nachfrage in Deutschland: Europa schaut auf Deutschland und ist unzufrieden mit dem Status Quo. Der hier skizierte Ansatz wäre eine Möglichkeit für einen Kompromiss.