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Schädliche Kritik: Die EZB hat mit ihrer Geldpolitik viel richtig gemacht

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hat der EU geholfen. Deshalb sollte darüber neu und konstruktiv debattiert werden. Der Gastbeitrag für Frankfurter Rundschau.

Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde hätte wohl kaum ein schwereres Amt antreten können. Deutsche Kritiker überbieten sich derzeit an Vorwürfen gegen die Europäische Zentralbank (EZB) und ihre Geldpolitik. Ob für die niedrigen Zinsen der kleinen Sparer, die Probleme der armen Banken, die hohen Immobilienpreise und Mieten in den Städten, ja selbst für den Aufstieg der AfD wird die Notenbank verantwortlich gemacht. Das EZB-Bashing ist so populär, dass es eine sachliche Analyse fast unmöglich macht.

Die Kritik an der EZB-Geldpolitik ist nichts Neues. Sie begann bereits 2011 mit der europäischen Finanzkrise. Uns Deutschen war die Reaktion der EZB auf die Finanzkrise viel zu expansiv und zu offensiv. Doch die meisten Sorgen der Kritiker haben sich nicht bewahrheitet: Die expansive Geldpolitik hat eben nicht zu hoher Inflation geführt. Sie hat auch keine finanziellen Transfers von schwächeren Ländern nach Deutschland und damit zu Verlusten der EZB verursacht.

Im Gegenteil: Die EZB-Geldpolitik hat die Kreditvergabe verbessert, elf Millionen neue Jobs konnten in den letzten acht Jahren in der Eurozone geschaffen werden, viele Regierungen haben harte Reformen umgesetzt und Schulden abgebaut. Um die Wirtschaft und Finanzstabilität der Eurozone ist es heute sehr viel besser bestellt als noch vor wenigen Jahren.

Das gilt auch für Deutschland: Der deutsche Wirtschaftsboom der vergangenen acht Jahre ist nicht trotz der EZB-Geldpolitik, sondern wegen ihr möglich gewesen, die graduelle Erholung der Eurozone hat den deutschen Exportboom erst beflügelt. Der Grund, warum die Zinsen noch immer so niedrig sind, liegt dabei weniger an der EZB, sondern daran, dass Erholung und Nachfrage zu schwach, die Ersparnisse zu hoch und die Reformbemühungen zu gering sind.

Die Forderungen der Kritiker an die Ausrichtung der EZB sind nicht nur falsch, sondern letztlich schädlich. Gefordert wird zum einen, die EZB solle ihr Preisstabilitätsziel von knapp unter zwei Prozent – das sie seit mittlerweile sechs Jahren verfehlt – nicht so eng interpretieren. Nicht nur sind diese zwei Prozent das Preisstabilitätsziel vieler Zentralbanken, es war der Deutsche Otmar Issing, der als damaliger EZB-Chefökonom diese EZB-Strategie vorangetrieben hat.

Zum zweiten holen viele deutsche Kritiker die moralische Keule hervor und fordern, die EZB solle mit ihrer Geldpolitik die Regierungen disziplinieren und zu Reformen zwingen. Genau dies wäre ein Mandatsbruch, denn die EZB hat das Mandat, die Preisstabilität zu gewährleisten und nicht den Regierungen Finanz- oder Strukturpolitik aufzuzwingen.

Das juristische Argument vieler deutscher Kritiker lautet, die EZB breche europäische Gesetze, indem sie Staatsanleihen kauft und somit illegal Regierungen helfe, Staatsschulden zu finanzieren. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Klagen abgewiesen und der EZB recht gegeben. Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich dem EuGH angeschlossen.

Zielführender als diese Forderungen ist dagegen die Frage, ob der geldpolitische Kurs der EZB wirklich der bestmögliche ist, um ihr Mandat nicht mittelfristig, sondern auch langfristig zu erfüllen. Die geldpolitische Entscheidung vom September 2019 lässt sich aus dieser inhaltlichen Perspektive kritisch diskutieren, unangemessen ist es jedoch, dies aus einer moralischen, juristischen oder mandatstechnischen Perspektive zu tun. Kritisiert man Entscheidungen, dann muss man auch Alternativen aufzeigen.

Nun ist es an Lagarde, die Argumente der Kritiker zu entkräften und die geldpolitische Ausrichtung der Notenbank überzeugend zu kommunizieren. Gerade in der Kommunikation hat sie als IWF-Direktorin oder als französische Wirtschafts- und Finanzministerin große Stärke bewiesen. Mit Jens Weidmann und Isabel Schnabel stehen ihr zwei deutsche Experten zur Seite, die als Mitglieder des Zentralbankrates immer das europäische Interesse vertreten, aber auch die deutschen Perspektiven einbringen.

Wenn wir Deutschen die Geldpolitik der EZB beeinflussen und verändern wollen, dann ist unsere Sündenbockstrategie kontraproduktiv. Sie schwächt den deutschen Einfluss in der Notenbank. Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir dringend die Debatte über die Geldpolitik der EZB neu und vor allem sachlich führen.

Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Uni.
Guntram Wolff ist Direktor des europäischen Think Tanks Bruegel.