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Sollte Deutschland zwei Feiertage streichen?

Gastkommentar im Handelsblatt, 28.11.2023. Der Artikel kann hier abgerufen werden. Text wurde zitiert in Bild, vielen regionalen Newspapern und im DLF.

Neben der aktuell diskutierten Kompromissformel könnte die Ampel die Abschaffung von Feiertagen in den Blick nehmen, um die Ausgaben für Klima und Verteidigung zu finanzieren. Aber auch die Rolle der gesamten EU sollte in puncto Zukunftsinvestitionen mitgedacht werden. 

Das Rätselraten nach der haushaltspolitischen Ohrfeige durch das Bundesverfassungsgericht ist groß: Wie kann man einen verfassungskonformen Haushalt für 2024 und die folgenden Jahre aufstellen, der einerseits die durch das Gericht hart interpretierten Regeln der Schuldenbremse einhält, andererseits weiterhin politischen Gestaltungsspielraum offen lässt und Zukunftsinvestitionen ermöglicht?

Um die strukturelle Lücke von 15 bis 30 Milliarden Euro jährlich zu schließen, werden politische Kompromissformeln eruiert, bei denen jeder der drei Ampelkoalitionspartner nachgeben müsste: Einsparungen im Sozialen, bei grünen Projekten und Einnahmenerhöhungen für den Bund sind im Gespräch.

Was fehlt, ist ein mittelfristig tragfähiger strategischer Ansatz, der die veränderte Sicherheitslage und die Klimatransformation als strukturelle neue Gegebenheiten annimmt und die deutsche Leistungsfähigkeit im europäischen Rahmen stärkt.

Deutschland muss seine Staatsausgaben über Jahrzehnte erhöhen

Deutschland lebt seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in einer neuen Welt. So wird die Bundesrepublik jetzt zwingend wesentlich mehr für ihre eigene Verteidigungsfähigkeit und die Unterstützung der Ukraine ausgeben müssen, wenn sie ihrer Verantwortung für die Sicherheit des Kontinents gerecht werden will.

Die damit einhergehende Erhöhung der Staatsausgaben ist strukturell, das heißt wahrscheinlich über Jahrzehnte, notwendig. Die Zeit der Friedensdividende nach dem Fall der Mauer ist vorbei.

Ohne größere militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine würden deutsche Verteidigungsausgaben noch mal um einiges steigen müssen, etwa wenn russische Truppen an der Grenze der Slowakei wären.

Neben der durch eine Verfassungsänderung abgesicherten 100 Milliarden Euro Schuldenaufnahme in ein Sondervermögen, das vor allem den Aufwuchs an militärischem Material finanzieren soll, werden jährliche Mittel von 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) notwendig sein, um verteidigungsfähig zu sein.

Ähnlich sieht es bei der grünen Transformation aus. Hier werden zwar vor allem die Haushalte und Unternehmen durch das europäische ETS-System zu zusätzlichen Investitionen in Klimaschutz getrieben. Aber ohne zusätzliche Investitionen durch den Staat in Energienetzwerke und grüne Infrastruktur wird es nicht gehen.

Von den von der Internationalen Energie-Agentur (IEA) geschätzten zusätzlichen Investitionen in Höhe von jährlich etwa zwei Prozent für die grüne Transformation wird circa ein Viertel, das heißt 0,5 Prozent des BIP, den öffentlichen Haushalt belasten.

Buß- und Bettag wurde gestrichen, um die Pflegeversicherung zu finanzieren

Diese langfristig notwendigen zusätzlichen Belastungen von fast einem Prozentpunkt des BIP für den Haushalt könnten durch die Abschaffung zweier Feiertage teilweise finanziert werden. Dies wäre kein ungewöhnliches Vorgehen.

So beschloss zum Beispiel die dänische Regierung im vergangenen Jahr, einen seit 1686 existierenden Feiertag, den „Store Bededag“, abzuschaffen, um das Nato-zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Auch in Deutschland wurde im Jahr 1994 der Buß- und Bettag als arbeitsfreier Tag gestrichen, um die Pflegeversicherung zu finanzieren.

Laut Daten der OECD liegt Deutschland im europäischen Vergleich bei der effektiv geleisteten Jahresarbeitszeit pro Arbeitenden eher im unteren Bereich. So arbeiten Deutsche mit 1341 Arbeitsstunden pro Jahr 150 Stunden weniger als Franzosen und sogar 353 Stunden weniger als Italiener.

Die deutsche Jahresarbeitszeit fiel seit 2010 um 85 Stunden, während sie in Frankreich nur um 29 Stunden zurückging. Im europäischen Vergleich wäre also eine Anhebung der deutschen Arbeitszeit durchaus nicht ungewöhnlich.

Wegfall von zwei Feiertagen könnte wirtschaftliche Aktivität erhöhen

Volkswirtschaftlich würden zwei zusätzliche Arbeitstage das Arbeitsangebot um fast ein Prozent erhöhen, was gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und der immer noch recht hohen Inflation große positive Effekte auf die wirtschaftliche Aktivität haben dürfte und die Inflation senken könnte.

Zusätzliche Einnahmen für den Staat von 0,5 Prozent des BIP könnten somit generiert werden. Die Bürger würden damit die Hälfte der strukturellen Verteidigungs- und Klimabelastung finanzieren. Die Ampelparteien könnten jetzt bei der politischen Kompromisssuche nicht nur Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in den Blick nehmen, sondern auch eine effektive Erhöhung der Arbeitszeit.

Mittelfristig steht aber auch eine Reform der Schuldenbremse an. Ähnlich wie bei der Einführung der Schuldenbremse findet auch die derzeitige Debatte wieder ohne die Berücksichtigung der EU-Implikationen statt. Denn die EU-Fiskalregeln werden ja gerade reformiert.

In Deutschland wie in Europa gibt es einen Investitionsstau, der sinnvoll über Schulden finanziert werden kann. Ein angemessenes Regelwerk zu finden, das solche Zukunftsinvestitionen politisch möglich macht, bleibt eine europäische und nicht nur deutsche Aufgabe.