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Taiwan geht auch Europa an

Oped für Pioneer

Das Interview von Emmanuel Macron zum Konflikt um Taiwan schlägt noch immer hohe Wellen. Strategische Autonomie bedeute, meint der französische Präsident, dass Europa nicht zu Mitläufern der USA werden dürfe, sollte es zu einem chinesischen Angriff auf den Inselstaat kommen. Nicht nur war der Zeitpunkt für eine solche Aussage bizarr – Macron tätigte sie auf der Rückreise von einem dreitägigen Staatsbesuch in China – und wirkte wie ein Einlenken vor Chinas Staatsführung, die noch während des Fluges mit aggressiven Manövern um Taiwan begann. Die Aussage zeigte auch europäische Uneinigkeit. Die mit ihm reisende Präsidentin der Europäischen Kommission sagte im Gegenteil deutlich, dass jede gewaltsame Veränderung des Status quo Taiwans abzulehnen sei.  

Wie also sollten Deutschland und Europa sich zu der Taiwanfrage verhalten? Meine zentrale These: Taiwan geht auch Europa an. 

Jede Veränderung des Status quo hätte Konsequenzen für die Demokratie in Asien. Taiwan zeigt, dass Demokratie im chinesischen Kulturkontext funktionieren kann. Sie ist somit auch Symbol für Nachbarstaaten Chinas. Wenn Taiwan unter die Herrschaft der KPCh fiele, könnten viele Staaten im Indo-Pazifik sich gezwungen fühlen, sich Richtung China zu orientieren. Die Machtbalance würde sich dramatisch verändern und die USA würden aus Asien gedrängt. China würde im Systemkonflikt gewinnen. 

Bei einer gewaltsamen Veränderung des Status quo Taiwans käme es sofort zu erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen. Taiwan ist zwar eine kleine Volkswirtschaft, aber mit der Chip-Industrie hat sie eine Schlüsselrolle für die Weltwirtschaft. Das Unternehmen TSMC produziert die modernsten Chips der Welt, die in zahllosen Anwendungen benötigt werden. Die ungestörte Lieferung dieser Chips dürfte im Falle einer Blockade oder Invasion in Gefahr kommen. Wirtschaftlich noch schwerwiegender wäre, dass die Weltwirtschaft in zwei Blöcke zerfallen könnte durch die Neuorientierung im asiatischen Raum. Die Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und Verankerung der wirtschaftlich größten und dynamischsten Region der Welt in einer regelbasierten Ordnung ist von großer Bedeutung für Europa. 

Ein Krieg um Taiwan würde auch die europäische Sicherheit beeinträchtigen. So würde eine militärische Konfrontation zwischen den USA und China die Kapazitäten der USA, für europäische Sicherheit zu sorgen, sofort schwächen. Der russische Krieg gegen die Ukraine hat uns wieder vor Augen geführt, dass Europa nur begrenzt für seine eigene Sicherheit sorgen kann. Ohne die finanzielle, strategische und logistische Führung der USA könnten Putins Truppen jetzt schon an der Grenze Polens stehen.   

Aus diesen Feststellungen ergibt sich ein klarer Handlungsauftrag für Deutschland und Europa: Erstens sollten die Bundesregierung und ihre europäischen Partner China klar signalisieren, dass sie jede gewaltsame Veränderung des Status quo ablehnen und zum Handeln, z.B. mit Sanktionen und finanzieller Unterstützung, bereit sind. Zweitens – insofern hat Emmanuel Macron mit seinem Ansatz der europäischen Autonomie recht – müssen Deutschland und Europa ihre eigene Verteidigungsfähigkeit endlich sicherstellen. Drittens muss Europa wirtschaftliche Risiken eines Taiwan-Konfliktes reduzieren. Denn: Nur starke und wehrhafte europäische Demokratien können souverän und für die Verbündeten in den USA glaubwürdig sein.