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Trägt Deutschland eine Mitschuld an Italiens Krise?

Dieser Text wurde zuerst von der Zeit veröffentlicht.

Italien hat mal wieder eine Krise – aber mit uns hat das Ganze nichts zu tun”: So lautet der fast einstimmige Tenor vieler Diskussionen zu den dramatischen politischen Entwicklungen in Italien in den vergangenen Wochen. Aber ist diese Einschätzung denn richtig oder trägt Deutschland nicht zumindest eine Mitschuld?

Richtig ist: Die italienische Politik ist chaotisch und gibt Anlass zur Sorge. Zunächst sah das Regierungsprogramm der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega ein neues großes Haushaltsdefizit vor – Schätzungen gehen von einem Haushaltsloch in Höhe von 100 bis 125 Milliarden Euro aus – und enthielt auch Klauseln, die die mögliche Einführung einer Parallelwährung und Mechanismen für einen Austritt aus derWährungsunion vorsahen.

Staatspräsident Sergio Mattarella stoppte die Regierungsbildung und lehnte den vorgeschlagenen Finanzminister Paolo Savona aufgrund seiner Euroskepsis ab. Die Finanzmärkte reagierten gnadenlos: Der Anstieg der Zinsen für italienische Staatsanleihen übertraf alles, was Italien bis dahin an einem Tag gesehen hatte – selbst während der Eurokrise 2011 und 2012. Der Schrecken dieser Finanzmarktreaktion saß tief. Innerhalb von nur drei Tagen wurde eine neue Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega eingesetzt. Der umstrittene Savona wird nun Minister für Europafragen statt Finanzminister. Ob das besser für das europäische Projekt ist, sei dahingestellt.

Bis vor der Einführung des Euro hat das politische System Italiens heimische Verteilungsprobleme meist dadurch gelöst, dass der Staat Schulden aufnahm und die hohen Budgetdefizite letztlich über Abwertung und höhere Inflation finanziert wurden. Der jetzt absehbare Anstieg italienischer Defizite knüpft an diese Politik der weichen Währung an. Er wird zwangsläufig die Konflikte mit Deutschland verschärfen, das stolz auf seine Vergangenheit der stabilen und starken Mark ist.

Seit Beginn der Währungsunion hat Italien zwar seine Budgetdefizite insgesamt unter Kontrolle gehabt, der Schuldenstand stieg in den vergangenen zehn Jahren aber weiter an. Da gleichzeitig das Wirtschaftswachstum ausblieb, erhöhte sich die Schuldenquote – also die gesamte Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftskraft – deutlich. Wenn es weder Wachstum gibt noch die Möglichkeit gibt, per Defizit Geld zu verteilen, verschärfen sich in einem solchen Nullsummenspiel die Verteilungsprobleme.

Doch die neue Regierung will nun die Ausgaben erhöhen, die Steuern senken und somit das Defizit des Staates deutlich auszuweiten. Italien kann eine höhere Neuverschuldung finanzieren, aber nur für eine begrenzte Zeit. Die Pläne scheinen aber auf eine langfristige Veränderung abzuzielen. Sie werden damit zum ernsthaften Problem für die dauerhafte Tragfähigkeit der Staatsschulden. Eine solche Verschuldung wäre mit einer weichen Geldpolitik möglich – doch über eine solche entscheidet nicht mehr eine nationale Führung, sondern die Europäische Zentralbank (EZB). Ein Konflikt mit Deutschland und der EZB wäre garantiert.

Welche Optionen bieten sich nun der Bundesregierung, dieses Dilemma zu lösen? Eine Möglichkeit wäre, gar nichts zu unternehmen und darauf zu hoffen, dass Italien die europäischen Verträge einhält. Die Finanzmärkte werden auf ein größeres strukturelles Defizit Italiens vermutlich negativ reagieren: Die Zinsen steigen, Italien wird sich zum Umsteuern gezwungen sehen.

Die Populisten werden diese Situation jedoch für sich zu nutzen wissen, die Euroskepsis in Italien dürfte daraufhin weiterwachsen. Schon jetzt schlagen die Populisten in der neuen Regierung einen scharfen Ton an gegenüber dem “Diktat der Finanzmärkte” sowie gegenüber Brüssel, Berlin und Paris. Zudem würden die tieferliegenden Probleme in Italien, wie zum Beispiel die hohe Jugendarbeitslosigkeit, fortbestehen. Die nächste Wahl könnte dann zu noch extremeren Ergebnissen führen.

Die Alternative wäre, auf Italiens neue Regierung zuzugehen und an konstruktiven Lösungen zu arbeiten. Wie Angela Merkel in ihrem jüngsten Interview angedeutet hat, scheint sie diese Linie verfolgen zu wollen. Ein erster Ansatzpunkt wäre eine gemeinsame Migrationspolitik. Gerade das Thema Einwanderung war zentral im italienischen Wahlkampf, und Italien hat in den vergangenen Jahren hier große Lasten übernommen und verdient europäische Solidarität. Die Idee der Europäischen Kommission, die Grenzschutzbehörde Frontex mit bis zu 10.000 Mitarbeitern auszustatten, ist daher ein Schritt in die richtige Richtung. Möglich wäre auch, den neuen Fonds für Strukturreformen aktiver in Italien zu nutzen. So könnte man die Verbreitung von E-Government – einem effektiven Mittel zur Bekämpfung der Korruption – mit EU-Haushaltsmitteln unterstützen.

Diese Schritte sind zwar wichtig für den Zusammenhalt der EU, sie können aber den Konflikt zwischen den Konzepten der Hart- und Weichwährungspolitik nicht lösen. Langfristig wird Italien seine Schuldenpolitik beenden und Reformen durchführen müssen, um die eigene Wirtschaft zu stärken. Das allerdings wird politisch nur tragfähig sein, wenn Deutschland akzeptiert, dass die gemeinsame Währung eine Inflation von zwei Prozent braucht. Die enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Italien haben auch mit der niedrigen Inflation zu tun, die die reale Schuldenlast Italiens nach oben getrieben hat.

Im den letzten Jahren lag die Teuerungsrate im Euroraum sogar unter den Werten zu Zeiten der Bundesbank. Für Italien ist der Preisauftrieb zu niedrig. Um auf ein akzeptables Niveau für die Eurozone zu kommen, wird Deutschland seine Nachfrage steigern und damit die Inflation erhöhen müssen, damit Italien wirtschaftlich wieder atmen kann. Leider ließ die Bundeskanzlerin diesen Punkt unerwähnt.

Beide Seiten werden sich auf einander zubewegen müssen: Deutschland wird einen Schritt, Italien aber einen Riesensatz machen müssen. Die Regierung in Rom muss von der Idee eines nicht zu finanzierenden fiskalischen Strohfeuers absehen. Den Schuldigen aber immer nur im anderen Land zu suchen, wird das Problem nicht lösen, sondern zum Ende der Eurozone führen.